Mit acht Jahren habe ich mein erstes Haus gebaut. Es war ein Holzhaus, ausgestattet mit einer Tür, einem Fenster, angeschrägtem Flachdach und zur Wetterseite hin überlappender Verplankung. So klingt zumindest in meinem Kopf die Erinnerung an etwas, das mir damals während der Erbauung noch 1.000 mal komplexer und imposanter vorkam. Die Rede ist von einer Hütte aus Holzpaletten, die ich als kleiner Grundschuljunge im Garten meines Opas gezimmert habe. Das besondere daran ist, dass diese Hütte in ihrer Ausführung tatsächlich die genannten Attribute besaß und keineswegs wie einem meinem Alter eher gerechten Nagelhaufen-Brett aussah. Im Werkkeller meines Großvaters habe ich Laufen gelernt.
1951 hat mein Großvater für seine Eltern und die eigene Familie mit einem dutzend Helfern in völliger Eigenregie ein Haus gebaut. 30 Jahre danach stand bereits der zweite große Umbau an, den ich als kleiner Junge von Anfang an miterlebt habe. Nach vorn raus wurde die Küche erweitert, ein Gäste-WC und ein einladender Empfangsbereich angebaut; zur Seite eine große Garage mit dahinter gelegenem Innenhof. So oft es ging und ich durfte war ich auf der Baustelle. Es wurden Streifenfundamente gegossen und verdichtet, Gerüste auf- und abgebaut; es wurde gemauert, verputzt, gefließt und am Ende die Fassade – alter wie neuer Teil – vollverklinkert.
Bei allen Arbeiten sah ich meinen Großvater immer selbst Hand anlegen und es wuchs in mir der Gedanke, dass man einfach alles selber machen kann. Ich hatte dabei nie das Gefühl, großartig Fragen stellen zu müssen. Alles war so selbsterklärend. Ich stand einfach umher, schaute zu und saugte auf. War die Arbeit simpel genug, bekam ich zum Beispiel einen Eisenstempel gereicht und stampfte damit durch die erdnassen Fundamentstreifen – mit acht Jahren! Ich war fasziniert vom Erschaffen – etwas in die Höhe mit einem Dach drauf bauen, unter das man sich dann stellen konnte. Die besagten Paletten meiner Hütte fielen genau auf dieser Baustelle an – ich meine, es wurde mir zu Ehren sogar ein Mini-Richtfest gefeiert.
Mein erstes selbstgebautes Bett
Zehn Jahre später machte ich eine Lehre zum Schriftsetzer und wohnte allein in meiner ersten eigenen Bude. Ich habe nicht mal daran gedacht, mir Möbel, wie zum Beispiel ein Bett zu kaufen. Ich baute mir einfach eins. Und mit dem Spirit der 90er bekam es an drei Seiten podestartige Stufen, die mit mintgrünem Velour bezogene waren. Ich dachte vorher nicht großartig darüber nach. Ich wollte einfach nur Stufen und mintgrünen Velourteppich um meine Matratze herum haben. Also nahm ich eine Stichsäge, Holz, Schrauben …
Im Alter von 22 Jahren sanierte ich die komplette 90 Quadratmeter große Dachgeschosswohnung im Haus der Mutter meiner damaligen Freundin. Ich verlegte dort unter anderem ca. 60 Quadratmeter – teilweise mit Rundung zugeschnittene Feinsteinfliesen und baute meine erste eigene Küche. Und ich meine es so, wie ich es schreibe. Ikea hatte für mich zu dieser Zeit noch den selben Stellenwert wie ein heutiger 1-Euro-Shop und ich wäre nicht im Traum darauf gekommen, Küchschränke dort zu kaufen.
So baute ich die Korpusse samt Türen aus gerahmten Satinglas einfach selbst. Für die Schränke benutzte ich Tischlerplatte. Die Türrahmen waren aus Kiefer- oder Fichte-Vollholz. Ich bin dabei nicht mal auf die Idee gekommen, mir eine Bauanleitung zu besorgen – zumal das Internet Mitte der 90er Jahre zwar schon an war, YouTube aber noch kompett in der Katzenvideo-Szene steckte. Nein, ich sah mir andere Küchenschränke an; machte die Türen ein paar mal auf und wieder zu und verstand sofort die Magie des Scharnierens. Der Rest waren Zentimeterangaben, die am Ende zugeschnitten sich immer wieder auf den Ecken einer Kiste treffen würden. Bei dem selben Projekt baute ich so auch zum ersten Mal ein Dachfenster ein.
Wo ich diese Erinnerung gerade aufschreibe, fällt mir ein, dass ich einige Monate später an der selben Adresse und mit gleicher Philosophie einen Carport gebaut habe – ohne vorgegebenen Bauplan, ohne Statikberechnung, ohne Baugenehmigung … ich habe mir Carports in der Umgebung angeschaut, habe die erkannten Dimensionen übernommen, habe Punktfundamente für die Stützen gegossen, mit langen Gewindschrauben das Ständerwerk verbunden, Wellpappe aufgenagelt … und kein Mensch hat jemals gefragt, ob ich mir das selbst ausgedacht hätte. Ich habe einfach nur gewollt, geguckt und (nach)gemacht. All die Jahre – immer wieder.
Es ist wie Fahrradfahren
Doch je älter ich wurde, umso seltener fand ich Zeit zum “basteln”. War es der Beruf oder die Zweitkarriere als semiproffesioneller Schlagzeuger …!? Ich kam einfach nicht mehr dazu. Als Steff und ich Ende 2018 in unsere erste gemeinsame Wohnung zogen, spürte ich für einen kurzen Moment mein Leidenschaft wieder aufleben. Nachgerechnet machte ich mich nach all den Jahren an Küche Nummer fünf und zog kurzer Hand einen astreinen Fliesenspiegel in selbige.
Ikea längst lieben und schätzen gelernt war ich mittlerweile Profi im Aufbau und Ausrichten von Faktum & Co. Vor der Keramikarbeit hatte ich hingegen zuerst ein wenig Flattern. Doch als ich den Kleber mit dem Zahnspachtel auf der Wand verteilte, die erste Metro-Fliese andrückte, war es sofort wieder da. Das sprichwörtliche Gefühl wie beim Fahrradfahren. Ein Tag Fliesen, ein Tag Verfugen, fertig. Mit der Arbeit war ich recht zurfrieden. Und von unseren Freunden hörte ich dann zum ersten Mal diesen Satz “Wieso kannst du das?”
Wenn man als zugegebener Autodidakt gerfagt wird, warum man diese oder jenes kann, stellt man sich unweigerlich die selbstzweifelnde Frage “Ja wieso? Ist das denn falsch?!” Zumindest sollte man das – kann man doch eigentlich nie wissen, wie amtlich die Fähigkeiten der gewählten Vorbilder belegt sind. Bei mir löst die Frage jedoch mehr ein verschämt stolzes “Ich kann das halt!” aus. Ich habe es scheinbar von meinem Großvater geerbt – ich mach das einfach! Zusammengerechnet sind es doch nur an die sechs verschiedene Gewerke, für das jedes einzelne mindestens drei Jahre Ausbildung nötig wären. Zwinkersmiley.
Wenn das meins wäre
Und jetzt ist da auf einmal dieses Haus im Wald. Was ich über diesen magischen Ort denke und fühle habe ich in anderen Beiträgen schon oft leidenschaftlich zum Ausdruck gebracht. Doch als ich bei der Besichtigung zum ersten Mal durch das Haus gegangen bin, hatte ich sofort diesen “Wenn-das-meins-wäre,-dann”-Gedanken. Als wir drei Tage später die Zusage bekamen, fühlte ich genau zwei Dinge: unendliche Freude gefolgt von einer Testosteron-Implosion, die meine DIY-Adern zu Popeye-Unterarmen anschwellen ließ. Von jetzt an war die Zeit endlich, denn vor mir lag offensichtlich mein letztes Projekt.
Wie zuvor bei meinem Großvater sollte der Umbau in völliger Eigenregie von statten gehen und rund ein dutzend Freunde bildeten den Bautrupp. Der grobe Plan über die neue Raumaufteiling stand und voller Elan legten wir eine Wand nach der anderen um. Für die Entfernung einer tragenden Wand mussten im Wohnzimmer drei Meter mit einem so gannenten Unterzug überbrückt werden. Eine Maßnahme, die ich mir gut vorstellen konnte aber noch nie selber durchgeführt hatte. Der Ingenieur in unserem Bautrupp stellte die statischen Berechnungen an und erklärte mir die Prinzipien von Kraftübertgragung und Lastenverteilung. Alles ist so logisch – alles ist so Mathematik.
Die Eisen für die Bewehrung habe ich auf Ansage hin gebogen und den Korb selbst zusammengerödelt. Ebenfalls eine Arbeit, die ich noch nie gemacht hatte, mir intuitiv aber immer schon vorstellen konnte. Als der Bewehrungskorb fertig vor mir lag, kam es mir fast so vor, als hätte jemand anders ihn gemacht. Unser Statiker meinte nur “Gute Arbeit!”
Ich glaube, hier liegt das Geheimnis meines “Könnens”. Es ist die geerbte Begabung zu Handwerken. Ein tief sitzendes Grundverständnis vom “Bauen”. Die sprichwörtlichen “Zwei rechten Hände”.
Doch bei aller pathetischen Selbstbeweihräucherung sei allen Skeptikern und “echten Fachleute” schlussendlich gesagt: Ich maße mir auf keinen Fall an, meine Bauwerke nach allen Reglen des Handwerks zu errichten oder errichtet zu haben. Und besonders jetzt, wo es gilt, einen Altbau zu sanieren, der uns auch in 30 Jahren noch ein Dach über dem Kopf bietet, greife ich oft und gern auf das Wissen und die Expertisen ausgebildeter Handwerker zurück und stelle meine Fragen. Und die Antworten die ich bekomme sind die Dinge, die ich vermutet.
Was wir genau unter meiner recht eigenwilligen Bauleitung mit der Glitzerbude im Glitzerwald anstellen, könnt ihr ab sofort auf unserem YouTube-Kanal verfolgen.
Für Opa Robert.